Nach dem Studium noch eine mehrjährige, teure Psychotherapie-Ausbildung machen? Das ist eine Frage, die sich viele Psychologinnen und Psychologen (und im Fall der KJP-Ausbildung auch andere Berufsgruppen) stellen. Es gibt viele Argumente für und gegen die Psychotherapie-Ausbildung. Ich möchte in diesem Artikel einige Vor- und Nachteile beleuchten und meinen persönlichen Erfahrungsbericht zur Psychotherapie-Ausbildung teilen.

Was für die Psychotherapie-Ausbildung spricht

Kurz gesagt: Die beruflichen Inhalte, die Vielfalt und die Möglichkeiten, die sich durch die Ausbildung ergeben, sind aus meiner Sicht die größten Vorteile.

Die tatsächliche inhaltliche Arbeit unterscheidet sich je nach Arbeitssetting und Therapieausbildung natürlich sehr stark. Doch gerade diese Vielfalt und die vielen Weiterbildungsmöglichkeiten sind an dem Beruf so besonders. Man kann sich auf bestimmte Themen spezialisieren und jederzeit das Setting wechseln. Zudem gibt es auch neben der klassischen therapeutischen Arbeit die Möglichkeit, sich als Supervisor:in, Selbsterfahrungsleiter:in, Dozent:in, Gutachter:in, Lerntherapeut:in usw. weiterzubilden. Dazu kommt, dass sich fortlaufend neue Therapierichtungen entwickeln (z. B. dritte Welle Verfahren) und es immer etwas zu entdecken gibt. Neben dem theoretischen Wissen im Ausbildungscurriculum erlernt man auch praktische Techniken wie Gesprächsführung, Umgang mit schwierigen Situationen etc. Auch die tatsächliche inhaltliche Arbeit ist sehr abwechslungsreich und kein Tag ist wie der andere. Für viele Psychotherapeut:innen ist der Beruf sehr sinnstiftend und bereichernd.

Ein weiterer Vorteil ist die Vielfalt an Jobmöglichkeiten und dass der Beruf durch den großen Bedarf nach Psychotherapeut:innen zukunftssicher ist.

Die Vorteile des Berufs spiegeln sich auch in der Berufszufriedenheit wider. Laut dem Ärztemonitor von 2018 halten die meisten Psychotherapeut:innen ihre Arbeit für nützlich und sinnvoll und sind mit ihrer Arbeit zufrieden.

Was gegen die Psychotherapie-Ausbildung spricht

Der erste Nachteil ist jedem klar: die Kosten. Und dabei meine ich nicht nur die tatsächlichen Ausbildungsgebühren, sondern alle indirekten und direkten Kosten. Als direkte Kosten fallen neben den Ausbildungsgebühren Kosten für Fachliteratur, Therapiematerialien, ggf. Supervision und Selbsterfahrung, Prüfungsgebühren und Fahrtkosten an. Die indirekten Kosten spiegeln sich in dem jahrelangen Verdienstausfall wider. Wer nach dem Studium direkt einen Job beginnt, erhält über die Zeit, in der andere die Ausbildung absolvieren, ein normales Gehalt. Während der Psychotherapie-Ausbildung hingegen verzichtet man über mehrere Jahre hinweg darauf. Hinzu kommt, dass man sich während der Ausbildung selbst krankenversichern muss und nicht in eine Rentenkasse einzahlt.

Natürlich stehen durch die Approbation andere Gehälter in Aussicht, aber ob man den jahrelangen Verdienstausfall damit wieder rausholt und ob tatsächlich überall ein höheres Gehalt für Psychotherapeut:innen gezahlt wird, ist fraglich. Ich habe selbst schon die Erfahrung gemacht, dass Psychotherapeut:innen in der gleichen Gehaltsstufe wie Psycholog:innen waren. Dazu kommen die enormen (Start-)Kosten, wenn man sich als Psychotherapeut:in selbständig macht und einen Kassensitz übernimmt.

Ein weiterer Punkt, der gegen die Psychotherapie-Ausbildung sprechen kann, stellt aus meiner Perspektive die eingeschränkte Freizeit dar. Immer wieder musste ich aufgrund der  Wochenendseminare Einladungen absagen, konnte mich kaum verabreden und war nach fünf Arbeitstagen, einem Seminarwochenende und erneuten fünf Arbeitstagen einfach nur erschöpft. Wenn man hingegen die Arbeitstage unter der Woche reduziert, verlängert sich die Ausbildung und die Einnahmen verringern sich.

Durch die neue Ausbildungsreform gibt es zwar einige Verbesserungen der Ausbildungsbedingungen, dennoch müssen PIAs vermutlich auch weiterhin einen großen Teil der Kosten selbst tragen. Die monatliche Vergütung von 1.000 Euro für das Klinikjahr entspricht auch nicht dem Gehalt, das Psycholog:innen nach Tarif zusteht – zudem reicht das Geld oft nicht aus, um die monatlichen Ausbildungsgebühren und Lebenshaltungskosten abzudecken.

Und nach der Psychotherapie-Ausbildung?

Ein wichtiges Kriterium bei der Entscheidungsfindung für oder gegen die Psychotherapie-Ausbildung stellen natürlich auch die Rahmenbedingungen nach der Approbation dar. Doch auch dort gibt es viele Missstände – sowohl im ambulanten, als auch im stationären Bereich. Kassensitze sind schwer zu erhalten, kaum bezahlbar und mit viel Bürokratie verbunden und die Arbeitsbelastung in Kliniken ist häufig sehr hoch.

Das Gehalt nach der Approbation ist zwar gut, jedoch sollte man sich im Klaren sein, dass es – abgesehen von Inflationsausgleichen, Tarifstufen und wenigen Ausnahme wie einer Leitungsposition in Kliniken – keine Gehaltserhöhungen oder Karrieremöglichkeiten in den klassischen Psychotherapieberufen gibt.

Ein weiterer Punkt, der insbesondere in der Corona Pandemie viele Psychotherapeut:innen belastet hat, war die Tatsache, dass die Arbeit von zu Hause aus kaum möglich ist. Die Regelungen für die Abrechnungen von Videositzungen und Telefonaten wurden zwar zwischenzeitlich gelockert, sind jedoch wieder teilweise zurückgenommen worden.

Es sind also vor allem die Rahmenbedingungen der Psychotherapie-Ausbildung und in der Gesundheitsbranche, die gegen die Ausbildung sprechen.

Was, wenn ich mich gegen die Psychotherapie-Ausbildung entscheide?

Sich gegen die Psychotherapie-Ausbildung zu entscheiden, bedeutet nicht, dass man sich ganz gegen die Branche entscheidet. Viele Psycholog:innen arbeiten in Beratungsstellen, in der Personalentwicklung, als Lerntherapeut:in oder als Coach und haben weniger teure und aufwendige Fortbildungen absolviert. Es gibt also auch abseits der Psychotherapie-Ausbildung viele spannende Aufgabenfelder und Möglichkeiten. Man solle sich jedoch bewusst sein, dass sich die Aufgabenfelder dort ausschließlich auf Beratung und Prävention beziehen und die Behandlung von psychischen Erkrankungen ausschließen.

Psychotherapie-Ausbildung – Ja oder Nein? Tipps für die Entscheidungsfindung

Ob sich diese Kosten lohnen und im Verhältnis zum Nutzen stehen, ist individuell sehr unterschiedlich. Ich kenne Psychotherapeut:innen, die viel Freude an ihrer Arbeit haben und die sich trotz der Missstände jederzeit wieder für die Ausbildung entscheiden würden. Ich habe es aber auch schon erlebt, dass Psychotherapeut:innen die Ausbildung abgebrochen oder die Branche gewechselt haben.

Um zu prüfen, ob der Beruf zu den eigenen Vorstellungen passt und um Einblicke in die tatsächliche Arbeitsrealität von Psychotherapeut:innen zu erhalten, lohnt es sich, Praktika zu machen und mit Psychotherapeut:innen aus verschiedenen Bereichen zu sprechen. Vielleicht helfen auch Fragen wie Was gefällt dir an deinem Beruf und was nicht?, Wie sieht ein typischer Arbeitstag von dir aus? oder Ist dein Job so, wie du ihn dir vor der Ausbildung vorgestellt hast – wenn Nein: Was ist anders? Auch Jobanzeigen inklusive der aufgelisteten Arbeitsinhalte können ein guter Anhaltspunkt für die Entscheidungsfindung sein.

Mein persönlicher Erfahrungsbericht als Psychotherapeutin

Als Psychotherapeutin habe ich es immer geschätzt, dass die Arbeit sehr abwechslungsreich ist. Jeder Tag und jede Sitzung ist anders. Man beschäftigt sich mit verschiedenen Indikationen und Therapiemethoden und sammelt immer mehr Erfahrungen. Zudem gibt es endlos viele Weiterbildungsmöglichkeiten, sodass man quasi nie auslernt. Inhaltlich hat man viel Entscheidungsspielraum und gerade im Kinder- und Jugendbereich kann die Arbeit sehr kreativ sein. Es werden Angstmonster gebastelt, Rollenspiele durchgeführt, therapeutische Spiele gespielt, Comics über den Therapieverlauf gezeichnet usw. So kommt es, dass man an einem Tag von Expositionsübungen, bis zum sokratischem Dialog und Familiengesprächen alles dabei hat.

Zur Realität gehören jedoch auch Symptomverschlechterungen, schwierige Gespräche, mangelnde Therapiemotivation, Kriseninterventionen und dass man manchmal einfach an Grenzen stößt. Gerade als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin war es oft schwierig für mich, wenn man Kindern und Jugendlichen nur bedingt helfen konnte, weil beispielsweise die Eltern kaum veränderungsbereit waren. Nach den Sitzungen hat man zudem oft kaum Zeit, um durchzuatmen, da schon die nächsten Termine im Stundentakt anstehen.

Für mich war schnell klar, dass ich mir nicht vorstellen konnte, jeden Tag so viele Termine anzubieten. Ich habe daher eine Weiterbildung zur psychologischen Sachverständigen gemacht und neben meiner therapeutischen Arbeit psychologische Gutachten geschrieben. Neben den Therapietagen auch mal Tage zu haben, an denen ich am Computer sitzen und am Gutachten schreiben könnte, war für mich ein guter Ausgleich.

Mittlerweile habe ich ganz die Branche gewechselt und arbeite in einem Start-Up, das psychologische Online-Therapieprogramme anbietet. Gerade die Ortsunabhängigkeit, die Arbeit im interdisziplinären Team und die guten Rahmenbedingungen (z. B. Fortbildungsbudget, Subvention von Fitness-Mitgliedschaften etc.) weiß ich durch den direkten Vergleich sehr zu schätzen. Da ich gerne weiterhin praktisch tätig sein wollte, arbeite ich mittlerweile ehrenamtlich bei Krisenchat. So habe ich für mich eine gute Balance gefunden. Übrigens bietet Krisenchat für alle Ehrenamtlichen Fortbildungen, Materialsammlungen und Supervisionsgruppen an, sodass man dort auch ein Gespür für die therapeutische Arbeit bekommen und sich mit anderen austauschen kann.

Psychotherapie-Ausbildung – Ja oder Nein? Mein persönliches Fazit

Wenn ich jetzt gefragt werde, ob ich die Psychotherapie-Ausbildung nochmal machen würde, war ich mir lange unsicher, würde jetzt aber wahrscheinlich mit Ja antworten. Ich habe vieles für die Psychotherapie-Ausbildung hinten angestellt und auf ein jahrelanges normales Gehalt und freie Wochenenden verzichtet. Oft habe ich mich über die Ausbildungsbedingungen und die Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen geärgert. Andererseits beschäftige ich mich sehr gerne mit psychotherapeutischen Themen und neuen Entwicklungen in der Psychotherapie. Außerdem begeistere ich mich für den Bereich E-Mental-Health und sehe dort ein großes Potential, psychologisches und psychotherapeutisches Wissen für alle Menschen frei zugänglich zu machen. Um bis hier hin gekommen zu sein, war es ein langer Weg. Dafür habe ich nun ein spannendes, kreatives Arbeitsleben vor mir und kann mich jederzeit in verschiedene Richtungen weiterentwickeln.

Wie sieht es bei euch aus? Schreibt gerne eure Erfahrungen und Gedanken in die Kommentare!