Die fortschreitende Digitalisierung macht sich auch in der Psychotherapie bemerkbar und kann sowohl die Arbeit mit Patient:innen, die Abläufe in der Praxis als auch die Kommunikation mit anderen Teilen des Gesundheitswesens betreffen. Immer wieder hört man von neuen digitalen Anwendungen, aber oft fehlt die Zeit, sich ausreichend zu informieren. Daher kommt hier ein Überblick darüber, wo wir im Bereich der Digitalisierung der Psychotherapie stehen, welche konkreten Tools bereits eingesetzt werden können und welche Erfahrungen ich damit gemacht habe. Dabei werde ich mich auf digitale Tools zur Unterstützung der Behandlung konzentrieren.

Digitale Psychotherapie-Tools zur Unterstützung der Behandlung

Digitale Tools können eine Psychotherapie auf unterschiedliche Weise unterstützen – von Videosprechstunden über VR-Brillen bis hin zu digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) sind verschiedene Anwendungsfälle möglich. Eine Verzahnung digitaler Tools mit einer Face-to-Face-Behandlung wird dabei auch als “Blended Care” oder “Verzahnte Psychotherapie” bezeichnet.

Blended Care

Bei Blended Care geht es also um eine Kombination von digitalen Tools und einer Vor-Ort-Behandlung. Die Arten und Schwerpunkte dieser Kombination können dabei ganz unterschiedlich ausfallen. Bielinski et al. (2021) unterscheiden bezüglich folgender Ebenen:

Zusätzlich dazu kann auch noch zwischen ergänzenden und transformierenden Blends unterschieden werden. Ergänzende Blends verändern die Struktur der Vor-Ort-Sitzungen kaum, während transformierende Blends den Fokus verändern können, indem bestimmte Interventionen nur noch online stattfinden oder Vor-Ort-Sitzungen auf den digitalen Inhalten aufbauen.

Meine Erfahrung

Ich wurde bereits während der Ausbildung mit dem Thema Blended Care konfrontiert, als meine Patient:innen mich nach App-Empfehlungen gefragt haben. Einige Jugendliche wollten beispielsweise nicht, dass ihre Eltern zu Hause Arbeitsblätter aus der Therapie finden. Andere wollten Inhalte nachschlagen können, ihre Hausaufgaben im Handy dokumentieren oder längere Therapiepausen überbrücken.

Das Problem: Ich hatte keine Zeit, um mir einen guten Überblick über die riesige Anzahl bestehender Apps zu verschaffen, wusste aber auch, dass meine Patient:innen sich dann einfach irgendwas herunterladen. Ein weiteres Problem: Bei kostenlosen Apps kann man davon ausgehen, dass die Nutzungsdaten verkauft oder für Werbezwecke verwendet werden. Dadurch haben die Apps außerdem das Ziel, Nutzer:innen möglichst lange und oft an die App zu binden. Wir Psychotherapeut:innen verfolgen ein gegensätzliches Ziel: Wir wollen Patient:innen dazu befähigen, ihre Probleme selbstständig zu lösen und die Behandlung so bald wie möglich zu beenden. Außerdem empfehlen wir, die Zeit mit digitalen Geräten zu reduzieren und stattdessen soziale Kontakte und Freizeitaktivitäten zu priorisieren und zu pflegen.

Auf der anderen Seite konnte ich den Wunsch nach unterstützenden Apps aufgrund der vielen Vorteile und Anwendungsmöglichkeiten (digitale Tagebücher, Auffrischung von Psychoedukation etc.) gut nachvollziehen und arbeite aus Begeisterung für diesen Bereich sogar mittlerweile für ein Start-up, das psychologische Online-Therapieprogramme herstellt. Für mich ist aber klar: Digitale Anwendungen im Bereich psychischer Gesundheit sollten nur von Psychotherapeut:innen entwickelt werden, keine Werbung schalten dürfen und keinen monetären Anreiz haben, Nutzer:innen an sich zu binden. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass solche Anwendungen Geld kosten müssen. Eine Ausnahme bilden digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), auch bekannt als “App auf Rezept”. Denn DiGA werden von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet, dürfen keine Werbung schalten und müssen ihre Wirksamkeit nachweisen. Mehr dazu erfahrt ihr im nächsten Abschnitt.

Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA)

Seit mehr als drei Jahren gibt es in Deutschland die Möglichkeit, “Apps auf Rezept” zu verschreiben. Dabei muss es sich nicht zwangsläufig um Apps handeln, auch Webanwendungen, VR-Brillen und andere digitale Hilfsmittel sind möglich. Die digitalen Anwendungen müssen sich dabei auf die Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von psychischen oder physischen Erkrankungen konzentrieren – Präventionsangebote fallen nicht darunter. Einen Überblick über aktuell verfügbare DiGA findet man im offiziellen Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).

Da es sich um ein relativ junges Feld handelt und von Zeit zu Zeit neue DiGA hinzukommen, lohnt es sich, regelmäßig einen Blick in das Verzeichnis zu werfen. Wer sich mit anderen Behandelnden über DiGA austauschen möchte, kann dies im KV-App-Radar tun. Alles Wichtige zur Verordnung und Abrechnung findet sich auf der Informationsseite der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.

Meine Erfahrung

Ich selbst bin bei diesem Thema voreingenommen, da ich, wie gesagt, inzwischen in diesem Bereich tätig bin. Ich kann zwar nicht aus der therapeutischen Praxis berichten, aber einige Eindrücke und Erfahrungen weitergeben, die ich in den letzten Jahren im Rahmen meiner Arbeit bei HelloBetter und auf Kongressen sammeln konnte.
Zunächst zur Gruppe der Nutzer:innen von DiGA: Lange Zeit war die Annahme vorherrschend, dass vor allem junge Menschen von Online-Therapieprogrammen profitieren. Doch die Erfahrung zeigt: DiGA werden vor allem von einer eher älteren Population genutzt, im Schnitt sind die Nutzer:innen ca. 45 Jahre alt. Die Erfahrung und auch Erhebungen wie der DiGA-Report der Techniker Krankenkasse zeigen zudem, dass der Anteil der Frauen unter den Nutzer:innen deutlich höher liegt als der Anteil der Männer. Für beide Beobachtungen gibt es verschiedene Hypothesen und mit zunehmender Erfahrung und Forschung werden wir in den nächsten Jahren hoffentlich mehr Klarheit und Erkenntnisse gewinnen. Für die Praxis bedeutet das, dass man DiGA gerade auch älteren Patient:innen anbieten kann.

Kommen wir nun zur Gruppe der Verschreibenden. In meiner Arbeit führe ich regelmäßig Gespräche mit Psychotherapeut:innen und tausche mich über häufige Fragen und Anwendungsmöglichkeiten in der Praxis aus. Dabei habe ich folgende Beobachtungen gemacht: Psychotherapeut:innen ist es sehr wichtig, DiGA genau kennenzulernen und sich ein eigenes Bild zu machen, bevor sie diese verschreiben. Für mich ist das nachvollziehbar, da DiGA und das therapeutische Konzept sehr unterschiedlich gestaltet und umgesetzt sein können. Psychotherapeut:innen nehmen auch sehr gerne Verlaufsberichte von DiGA-Herstellern in Anspruch, gerade wenn sie die DiGA in Form von Blended Care einsetzen. So entsteht ein zusätzlicher Informationsgewinn für die eigene Behandlung und Symptomfragebögen können ausgelagert werden. Zum Thema Rezepte habe ich Folgendes festgestellt: Die für DiGA benötigten Vordrucke (Muster 16 Rezepte) haben Psychotherapeut:innen nicht standardmäßig in ihrer Praxis. Sie bestellen sie entweder bei der KV oder lassen sich von DiGA-Herstellern vorgedruckte Rezeptblöcke liefern. Natürlich geht es auch über die Praxisverwaltungssysteme, aber es ist nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich, wo sich das Rezept befindet.
Was die Einsatzmöglichkeiten in der Praxis betrifft, so nutzen einige Psychotherapeut:innen DiGA gerne, um Beschwerden auszulagern, z. B. um Schlafstörungen zu behandeln, während sie in der Praxis z. B. eine affektive Erkrankung behandeln. Natürlich kann eine DiGA-Verordnung auch zusammen mit dem PTV-11 zur Überbrückung von Wartezeiten ausgestellt werden. Hier zeigt die Erfahrung jedoch, dass für die Patient:innen sehr klar sein muss, dass ihr Anspruch auf Psychotherapie nicht verloren geht und DiGA und Psychotherapie voneinander unabhängig sind. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Patient:innen aus Angst, ihren Wartelistenplatz zu verlieren, DiGA nicht nutzen wollen.

Virtual Reality (VR)

Es gibt wie gesagt auch DiGA, die mit der sogenannten virtuellen Realität – auch Virtual Reality genannt – arbeiten. Die Umsetzung erfolgt meistens mit sogenannten VR-Brillen, die man sich aufsetzt. Mithilfe der Brille wirken die Bilder oder Videos, die den Patient:innen ausgespielt werden, real und dreidimensional. Dem Gehirn wird vorgespielt, dass man sich tatsächlich in der jeweiligen Situation befindet. Dieser Effekt wird insbesondere für verschiedene Formen der Expositionstherapie genutzt. Gerade in Fällen, in denen sich Expositionen nicht so leicht umsetzen lassen (wie oft ich vergeblich nach Spinnen gesucht habe …), ist das natürlich ein großer Vorteil. Zudem wird der Aufwand zur Planung und Durchführung von Expositionen deutlich reduziert und man kann bestimmte Faktoren kontrollieren (z. B. hat man wenig Einfluss darauf, wie voll ein Supermarkt sein wird). Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2019 hat gezeigt, dass die Expositionstherapie mit virtueller Realität im Vergleich zur Kontrollgruppe eine große Effektstärke zeigt, es keine signifikanten Unterschiede zur In-vivo-Expositions-Therapie gibt und die Effektgrößen für verschiedene Störungsbilder relativ konsistent waren. Neben der virtuellen Realität gibt es auch die sogenannte Augmented Reality. Hier wird die Realität mit einer virtuellen Komponente erweitert. Zum Beispiel blendet ein Programm eine Spinne in der realen Umgebung (z. B. auf dem Tisch vor sich) ein. So könnte ein noch stärkerer Alltagsbezug der angstauslösenden Stimuli erreicht werden.

Ich selbst konnte keine Erfahrungen mit Virtual und Augmented Reality in der Praxis sammeln, kann mir den Einsatz aber prinzipiell gut vorstellen. Denn bei einigen meiner Patient:innen mit Phobien haben bereits Bilder oder Videos (z. B. von Spinnen) Angst ausgelöst.

Videosprechstunde

Spätestens seit der Corona-Pandemie nutzen viele Psychotherapeut:innen Videosprechstunden in ihrer Praxis. Die Vorteile liegen auf der Hand: Es kommt zu weniger Absagen auf beiden Seiten und die Psychotherapie lässt sich leichter in den Alltag der Patient:innen integrieren. Gerade für Patient:innen mit langen Anfahrtswegen, regelmäßigen beruflichen Standortwechseln oder eingeschränkter Mobilität bietet die Videosprechstunde viele Vorteile. Sollte man sich als Psychotherapeut:in dafür entscheiden, Videosprechstunden anzubieten, gibt es allerdings einige Aspekte, die beachtet werden müssen. So waren während der Pandemie Videosprechstunden zeitweise unbegrenzt möglich, mittlerweile gibt es wieder eine Obergrenze. Diese liegt aktuell (August 2024) bei 30 % für alle per Video möglichen Leistungen nach der Psychotherapie-Richtlinie (EBM-Kapitel 35), die Psychotherapeut:innen in einem Quartal abrechnen. Zudem muss man beachten, dass ein persönlicher Kontakt zu Beginn der Psychotherapie notwendig ist und nicht alle Leistungen per Video stattfinden können – Psychotherapeutische Sprechstunden und Probatorik können beispielsweise nicht per Video stattfinden. Man muss auch auf einen zertifizierten Videodienstanbieter zurückgreifen und eine Einverständniserklärung der Patient:innen einholen. Aktuelle Informationen zu Voraussetzungen, Abrechnung und hilfreiche Materialien finden sich auf der Seite der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.

Meine Erfahrung

Während meiner Psychotherapieausbildung hat die Corona Pandemie begonnen. Ich habe also zwangsläufig auch Erfahrungen mit Videosprechstunden gesammelt, obwohl das im Kinder- und Jugendbereich sonst vermutlich eher die Ausnahme darstellt. Denn gerade mit Kindern und Jugendlichen lassen sich Online-Sitzungen nur sehr schwer umsetzen. Die ganzen kreativen Arbeitsmaterialien und therapeutischen Spiele fehlen, oft befinden sich die Eltern in der Nähe und die Ablenkung auf den digitalen Geräten ist für die Kinder sehr groß. Dazu kamen oft noch technische Schwierigkeiten oder instabile Internetverbindungen, die die Gespräche immer wieder unterbrochen haben. Zudem habe ich im Face-to-Face-Setting die Erfahrung gemacht, dass Kinder sich besser öffnen können, wenn man ihnen nicht direkt gegenübersitzt, sondern man beispielsweise über Eck sitzt oder gemeinsam an etwas arbeitet. Aus der Not heraus habe ich verschiedene digitale Spiele zur Auflockerung oder zum Ende der Stunde ausprobiert und die Sitzungen für Kinder auf 25 Minuten begrenzt. Häufig habe ich die zweite Hälfte der Sitzung für Elterngespräche verwendet, was besser funktioniert hat. Auch mit Jugendlichen waren die Videogespräche eine gute Möglichkeit, in Kontakt zu bleiben. Interessant war für mich zudem, die Wohnungen der Familien zu sehen und zu beobachten, wie sich die Familien zu Hause verhalten. Auf der anderen Seite muss man natürlich auch gut auf die Privatsphäre der Patient:innen achten und sicherstellen, dass ein ungestörtes Gespräch möglich ist und Patient:innen nur so viel von ihrer Wohnung preisgeben, wie sie es möchten. Ein weiterer Vorteil der Videosprechstunden (auch nach der Pandemie) war, Sitzungen flexibler durchführen zu können. Ein verpasster Bus, ein positiver Corona-Test oder andere Schwierigkeiten haben so nicht mehr dazu geführt, dass die Sitzung ausgefallen ist. Das war insbesondere beim Sammeln der Stunden in der Ausbildung eine große Entlastung. Insgesamt habe ich also gemischte Erfahrungen gemacht und die Videosprechstunden eher als Plan-B und Ergänzung zum persönlichen Kontakt gesehen.

Routine Outcome Monitoring

Zunehmend gewinnt das Thema Veränderungsmessungen in der Psychotherapie an Bedeutung. Was früher mit Stift und Papier oft aufwendig und wenig anschaulich war, kann mittlerweile immer häufiger digital durchgeführt werden. Beim sogenannten Routine Outcome Monitoring (ROM) werden regelmäßig erhobene Patientenrückmeldungen beobachtet und ausgewertet. Die Fragebögen können sich auf bestimmte Symptome, eine allgemeine Symptombelastung, die therapeutische Beziehung und andere Bereiche beziehen. Gemeinsam mit den Patient:innen können die Verläufe besprochen und frühzeitig auf Abweichungen reagiert werden. Für Psychotherapeut:innen können solche Verlaufsmessungen eine Entlastung in der Praxis darstellen, da sie zusätzlich zur klinischen Einschätzung einen zusätzlichen Informationsgewinn bedeuten. Weiterführende Feedbacksysteme geben auch Auskunft über Prognosen und darüber, ob eine Abweichung eine kritische Schwelle überschreitet. Noch befinden sich viele solcher Systeme in der Forschung und werden noch nicht flächendeckend eingesetzt. Doch es kann sich lohnen, bei Anbietern für digitale Fragebögen oder Praxisverwaltungssystemen nach Möglichkeiten zur Verlaufsmessung nachzufragen.

Die Arbeit an weiterführenden Routine Outcome Monitoring Systemen zeigt auch, dass der Einsatz von maschinellem Lernen und Vorhersagemodellen in der Psychotherapie an Bedeutung gewinnt. Weitere Informationen zum Thema Künstliche Intelligenz in der Psychotherapie findet ihr auf meinem Blog.

Digitale Tools für Krisen

Für Patient:innen kann eine Übersicht über verschiedene Anlaufstellen im Fall von Krisen hilfreich sein. Mittlerweile bieten viele Krisendienste auch die Möglichkeit von Online-Diensten wie Chats an. Dadurch fällt für viele Betroffene die Hürde weg, sich Hilfe zu holen und die Angebote werden noch niedrigschwelliger. Hier eine Übersicht verschiedener digitaler Krisendienste:

Meine Erfahrung

Ich habe ein Jahr lang ehrenamtlich als Krisenberaterin bei Krisenchat gearbeitet und empfinde dieses Angebot als große Bereicherung für Kinder und Jugendliche. Dadurch, dass sich die Kinder und Jugendlichen keine App herunterladen und nicht anrufen müssen, ist das Angebot sehr niedrigschwellig. Die Materialien, auf die Krisenberater:innen zugreifen können, die gute Einarbeitung und die regelmäßigen Supervisionen machen Krisenchat aus meiner Sicht zu einer sehr guten anonymen und niedrigschwelligen Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche. Dass es einen großen Bedarf gibt, drückt sich leider auch darin aus, dass es (vor allem in den Abendstunden) oft einen großen Andrang gab und nicht immer allen Kindern und Jugendlichen sofort geholfen werden konnte. Wenn man Krisenchat empfiehlt, sollte man das im Hinterkopf behalten. Aber auch wenn man nicht sofort mit eine:m Krisenberater:in sprechen kann, bietet Krisenchat eine sehr gute Bibliothek an Blogartikeln, Youtube-Videos etc. an, auf die man jederzeit zurückgreifen kann.

Mein Fazit zur Digitalisierung der Psychotherapie

Ich selbst habe digitale Anwendungen wie Videosprechstunden, Apps und digitale Krisendienste als Entlastung in der Praxis wahrgenommen und sehe insgesamt das Potential einer digital unterstützten Psychotherapie. Auf der anderen Seite gibt es auch Entwicklungen, die ich kritisch sehe und die mir Sorgen bereiten. Zum Beispiel, dass viele der digitalen Tools im Bereich der psychischen Gesundheit auf dem dafür schnell wachsenden Markt nicht wissenschaftlich geprüft sind, keine Standards und Vorgaben erfüllen und Nutzer:innen an sich binden wollen. Im Gegensatz dazu stehen regulierte und zertifizierte Anwendungen wie zertifizierte Videodienstanbieter oder zertifizierte digitale Gesundheitsanwendungen. Hier kann man sich zwar auf die Einhaltung der Vorgaben verlassen, aber die Regulierung führt oft dazu, dass die Anwendungen nicht so modern sind wie frei zugängliche Angebote. Das liegt unter anderem daran, dass Änderungen und Weiterentwicklungen bei regulierten Produkten länger dauern (z. B. weil das Risikomanagement neu bewertet werden muss) und oft eine erneute externe Prüfung erfordern, während frei zugängliche Anbieter laufend Anpassungen vornehmen und viel leichter “mit der Zeit gehen” können. Dadurch besteht aus meiner Sicht die Gefahr, dass geprüfte Anwendungen in Zukunft immer weniger attraktiv und innovativ für Patient:innen wirken und ungeprüfte Anwendungen den geprüften vorgezogen werden. Und auch als Psychotherapeut:in kann es frustrierend sein, wenn man beispielsweise von frei zugänglichen Videodiensten Möglichkeiten wie digitale Whiteboards und Breakout-Räume gewohnt ist und solche Erweiterungen bei zertifizierten Videodienstanbietern nicht vorhanden sind. Ich hoffe daher, dass sich in den nächsten Jahren eine gute Balance zwischen den zu Recht bestehenden Prüfprozessen einerseits und der Innovationsförderung andererseits einstellt, damit weiterhin sichere, qualitativ hochwertige und gleichzeitig innovative digitale Lösungen entstehen. Wenn das gelingt, können aus meiner Sicht sowohl Psychotherapeut:innen als auch Patient:innen die Vorteile einer digital gestützten Psychotherapie gut für sich nutzen.

Falls ihr euch gerne mit anderen Psycholog:innen und Psychotherapeut:innen über digitale Anwendungen austauschen möchtet, Fragen habt oder gerne auf dem neuesten Stand bleiben wollt, könnte die neue Online-Community interessant für euch sein. Hier könnt ihr euch inspirieren lassen und austauschen – zur Digitalisierung, aber auch zu allen anderen Themen rund um Psychotherapie und die Ausbildung.