Wenn man sich über die Therapieausbildung informiert, stößt man häufig auf einen Katalog an Voraussetzungen und Zwischenschritten, die für die Psychotherapie Approbation nötig sind. Für mich war es damals gar nicht so leicht, einen Überblick zu bekommen und Begriffe wie Praktische Tätigkeit und Praktische Ausbildung nicht zu verwechseln. Bevor man die Ausbildung anfängt, ist es wichtig zu wissen, worauf man sich einlässt. Daher möchte ich euch in diesem Artikel einen Überblick über alle Bestandteile der Ausbildung geben. Außerdem erkläre ich euch, was hinter den verschiedenen Bestandteilen steckt, also wie die praktische Umsetzung aussieht.

Grundsätzlich setzt sich die Ausbildung aus den folgenden Punkten zusammen:

  1. Praktische Tätigkeit
  2. Theorie
  3. Praktische Ausbildung
  4. Supervison
  5. Selbsterfahrung/Lehranalyse
  6. Freie Spitze

Die folgende Abbildung zeigt den Verlauf der einzelnen Bestandteile. Während der gesamten Ausbildungszeit finden Theorieseminare, Selbsterfahrung und die “freie Spitze” (Selbststudium) statt. Im 1. Teil der Ausbildung absolviert man die Praktische Tätigkeit 1 und 2, die auch als “Klinikjahr” bekannt sind. Im 2. Teil, der Praktischen Ausbildung, behandelt ihr unter engmaschiger Supervision eigene ambulante Fälle. In den nachfolgenden Abschnitten werden die einzelnen Bestandteile näher beleuchtet.

1. Praktische Tätigkeit (PT)

Sobald ihr einen Ausbildungsvertrag unterschrieben habt, geht es auf die Suche nach einem Platz für die Praktische Tätigkeit, den ersten Teil der Ausbildung.

Die Praktische Tätigkeit ist allgemein auch als „Klinikjahr“ bekannt, dabei dauert sie länger als ein Jahr, nämlich mindestens 18 Monate. In dieser Zeit sollt ihr in Kliniken und Ambulanzen Erfahrungen sammeln und unter Anleitung an der Behandlung und Diagnostik von Patienten/-innen beteiligt sein.

Vergütung

Bis vor kurzem war es üblich, dass Kliniken nur eine Aufwandsentschädigung an PIAs zahlen mussten, da es sich bei der Praktischen Tätigkeit um eine Art Pflichtpraktikum handelt. Mittlerweile gibt es ein Gesetz, das eine Mindestvergütung von 1000 Euro im Monat vorschreibt. Leider sind dadurch einige Plätze für die Praktische Tätigkeit weggefallen, sodass sich die Wartezeit auf einen Platz häufig verlängert.

Kooperationen

Die Institute sind mit verschiedenen Kliniken und Ambulanzen Kooperationsverträge eingegangen, sodass euch dort die Praktische Tätigkeit ohne Probleme anerkannt wird. Solltet ihr euch für andere Kliniken interessieren (z.B. weil die Klinik in einem anderen Bundesland ist), müsst ihr euch am besten frühzeitig um eine Kooperation kümmern.

Die Praktische Tätigkeit unterteilt sich nochmal in Praktische Tätigkeit 1 und 2 (PT1 und PT2):

Praktische Tätigkeit 1 (PT 1)

1200 Stunden müssen in einer klinisch-psychiatrischen Einrichtung absolviert werden – in mindestens 12 Monaten.

Wichtig für KJP-PIAs: In der KJP-Ausbildung kann man nach Absprache mit dem Ausbildungsinstitut 600 der 1200 PT1-Stunden auch in einer anerkannten Kinder- und Jugendpsychiatrischen ambulanten Einrichtung absolvieren.

Praktische Tätigkeit 2 (PT 2)

600 Stunden müssen in einer psychosomatischen oder psychotherapeutischen Klinik oder einer psychotherapeutischen Lehrpraxis absolviert werden – in mindestens 6 Monaten. Oft bieten die Ausbildungsinstitute an, dass die 600 Stunden in der eigenen Ambulanz durchgeführt werden können. Für KJP-Auszubildene, die keinen Abschluss in Psychologie haben, empfiehlt es sich zunächst die PT2 Stunden zu absolvieren. So wird der Einstieg in Themen wie Testdiagnostik erleichert und die Chancen für einen Klinikplatz verbessern sich.

Einige Kliniken bieten auch an, die 600 Stunden in der angegliederten Ambulanz zu absolvieren. So kann man die gesamten 1800 Stunden an einer Klinik absolvieren.

Wichtig: Die 1800 Stunden könnt ihr auch auf mehrere Einrichtungen verteilen, die Abschnitte sollten aber immer mindestens 3 Monate gedauert haben. Solltest du z.B. gerade PT2 Stunden absolvieren und unterbrichst diese, da du einen Klinikplatz (PT1) bekommen hast, werden dir die bisher absolvierten PT2 Stunden nur anerkannt, wenn du diese mindestens über 3 Monate am Stück absolviert hast.

Falldokumentationen

Insgesamt muss man während der Praktischen Tätigkeit an der Diagnostik und Behandlung von mindestens 30 Patienten/-innen beteiligt gewesen sein. Um das zu dokumentieren, müssen Falldokumentationen angefertigt werden. Die Falldokumentationen werden von den Betreuern/-innen gelesen und unterschrieben.

2. Theorie

In den Theorieseminaren lernt ihr Störungsbilder, ihre Entstehung, Prävalenz, Diagnostik und Therapie kennen. Außerdem werdet ihr in die Grundlagen wie Forschung, Krankheitslehre, Klassifikation, Entwicklungs-, Sozial-, Persönlichkeits- und Neuropsychologie eingeführt. Ihr erfahrt aber auch praktische Inhalte, z.B. wie man eine Praxis gründet und wie man richtig dokumentiert, wann man die Schweigepflicht brechen kann und soll und wie man in der Therapie mit Widerstand umgeht.

Die Theorieseminare erstrecken sich über 600 Stunden und teilen sich in 200 Stunden Grundkenntnisse und 400 Stunden Vertiefung auf. Die Seminare beinhalten häufig praktische Übungen anhand von Fallbeispielen. So könnt ihr Gesprächstechniken und Therapiemethoden üben.

Unterschiedliche Rahmenbedingungen

Die Ausbildungsinstitute unterscheiden sich häufig in der Aufteilung ihrer Seminare. Einige Institute bieten in regelmäßigen Abständen (z.B. einmal im Monat) Wochenendseminare an (z.B. Freitagabend und Samstag oder Samstag und Sonntag), andere bieten wöchentliche Seminare in den Abendstunden (z.B. dienstags und donnerstags) an. Die meisten Institute legen übrigens im Sommer eine Seminarpause ein. Die jeweiligen Modelle haben verschiedene Vor- und Nachteile. Solltet ihr z.B. eine weite Anfahrt zu eurem Institut haben, würden sich Wochenendseminare eher anbieten. Am besten informiert ihr euch vorher, welche Modelle die für euch interessanten Institute anbieten.

Die Theorieinhalte werden zum Ende der Ausbildung im Rahmen der Approbationsprüfung abgefragt. Um auf diese Prüfung vorzubereiten und die Grundkenntnisse zu festigen, führen viele Institute eine Zwischenprüfung ca. zur Hälfte der Ausbildung durch.

3. Praktische Ausbildung (PA)

Die Praktische Ausbildung stellt den 2. Teil der Ausbildung dar. In diesem Teil behandelt man Patienten/-innen unter engmaschiger Supervision. Die Voraussetzungen für die Praktische Ausbildung stellen häufig das Bestehen der Zwischenprüfung, das Absolvieren eines Teils der Theorie und Selbsterfahrung und das Absolvieren des Großteils der Praktischen Tätigkeit dar. Wenn ihr alle Voraussetzungen erfüllt habt, könnt ihr einen Antrag auf die Praktische Ausbildung bei eurem Institut stellen. Einige PIAs fangen auch schon gegen Ende der Praktischen Tätigkeit damit an.

In der praktischen Ausbildung müssen mindestens 600 Behandlungsstunden unter Supervision mit mindestens 6 Patienten/-innen durchgeführt werden. Das Maximum an Behandlungsstunden in der Praktischen Ausbildung liegt bei 800 Stunden. In der verklammerten Ausbildung (tiefenpsychologische und psychoanalytische Ausbildung kombiniert) müssen mindestens 1000 Behandlungsstunden durchgeführt werden.

Kooperierende Lehrambulanzen

Üblicherweise wird die Praktische Ausbildung am jeweiligen Ausbildungsinstitut durchgeführt. Häufig haben die Institute aber auch Kooperationen mit sogenannten Lehrambulanzen, also niedergelassene Psychotherapeuten/-innen, die als Supervisoren/-innen am Institut anerkannt sind. Wenn ihr dort die Praktische Ausbildung absolviert, entstehen euch üblicherweise keine Mehrkosten.

Vergütung der Praktischen Ausbildung

Zur Vergütung gibt es wieder ganz verschiedene Modelle. Von dem Gehalt für eine Therapiestunde (ca. 100 Euro), ziehen die Ausbildungsinstitute einen Teil ab, um zum Beispiel die Raummiete zu bezahlen. Entscheidend ist ein Gesamtüberblick der Psychotherapieausbildungskosten und –einnahmen. Entstehen in der Psychotherapieausbildung viele und hohe Kosten, ist die Vergügung der Praktischen Ausbildung dafür meist höher. Am besten rechnet ihr mal die Kosten und Einnahmen aus und schaut euch die Differenzen bei verschiedenen Instituten an. Es gibt auch Institute, die kaum Gebühren verlangen und euch dafür in der Praktischen Ausbildung nicht oder wenig vergüten.

Wichtig: Die Einnahmen aus der Praktischen Ausbildung sind steuerpflichtig, d.h. ihr müsst für die Zeit der Praktischen Ausbildung auf jeden Fall eine Steuererklärung machen und Lohnsteuer auf die Einnahmen zahlen.
Ausbildungsgebühren, Fahrtkosten, Kauf von Fachbüchern etc. können im Rahmen von Werbungskosten abgesetzt werden. Damit kann die Höhe der zu zahlenden Steuern gesenkt werden.

4. Supervision

Während der Praktischen Ausbildung trefft ihr euch regelmäßig mit anerkannten Supervisoren/-innen, um eure Fälle zu besprechen. Dafür sind mindestens 150 Stunden bei mindestens drei Supervisoren/-innen vorgesehen, 50 davon im Einzelsetting und 100 im Gruppensetting. Die 150 Stunden kommen dadurch zustande, dass die ambulanten Stunden der Praktischen Ausbildung (600 Stunden) im Verhältnis 1:4 supervidiert werden müssen. Solltet ihr mehr als 600 Stunden durchführen, müssen die zusätzlichen Stunden im gleichen Verhältnis supervidiert werden.

Die Kosten für die Supervision sind üblicherweise dadurch abgedeckt, dass ein Teil der Vergütung in der Praktischen Ausbildung direkt an die Supervisoren/-innen geht. Es kann aber auch sein, dass ihr die Supervision selbst bezahlen müsst, dafür aber auch höhere Einnahmen in der Praktischen Ausbildung bekommt.  

5. Selbsterfahrung, Lehrtherapie, Lehranalyse

In diesem Teil der Ausbildung geht es darum, euch selbst zu reflektieren und an euch zu arbeiten. Hier kann auch erarbeitet werden, welche Themen euch immer wieder beschäftigen und eventuell zu Schwierigkeiten in der Arbeit als Psychotherapeut/-in führen könnten.

In der Verhaltenstherapeutischen Ausbildung nennt sich das Selbsterfahrung, in der tiefenpsychologischen Ausbildung Lehrtherapie und in der psychoanalytischen Ausbildung Lehranalyse. Grundsätzlich müssen hier 120 Stunden absolviert werden. In der verklammerten Ausbildung (tiefenpsychologische und psychoanalytische Ausbildung kombiniert) müssen mindestens 240 Stunden absolviert werden.

Rahmenbedingungen in der Verhaltenstherapie

Die Rahmenbedingungen können dabei sehr unterschiedlich sein. Die verhaltenstherapeutische Selbsterfahrung findet meistens in einer Gruppe statt (meist bis zu 10 Personen) und kann entweder an verschiedenen Wochenenden oder auch in ganzen Blöcken (z.B. drei Blöcke über jeweils eine Woche) stattfinden. Den Selbsterfahrungsleiter/die Selbsterfahrungsleiterin bekommt man üblicherweise zugewiesen.

Rahmenbedingungen in Psychodynamischen Verfahren

In der Lehrtherapie und Lehranalyse sucht man sich Lehrtherapeuten/-innen oder Lehranalytiker/-innen selber aus und befindet sich dort in Einzelsitzungen. Die Frequenz kann dabei von 1-4 Stunden pro Woche variieren und auch über die Mindeststundenzahl hinausgehen. Dadurch unterscheiden sich die Kosten erheblich. Einzelgespräche sind im Vergleich zu einer Gruppe natürlich viel teurer. Dafür gibt es aber auch mehr Raum und Zeit für eigene Themen.

Wichtig: Informiert euch vor Beginn der Ausbildung, ob die Kosten für die Selbsterfahrung (bzw. Lehrtherapie oder Lehranalyse) in den Gebühren mit inbegriffen sind. Solltet ihr die Kosten noch zusätzlich selbst zahlen, müsst ihr in der Einzeltherapie mit ca. 90 Euro pro Stunde rechnen. Das Gleiche gilt übrigens auch für die Supervision. Bei einer Betrachtung der Gesamtkosten darf man natürlich auch nicht die potenziellen Gesamteinnahmen (Praktische Ausbildung) außer Acht lassen. In einigen Instituten zahlt man hohe Gebühren, kann im Gegenzug aber auch viel Geld einnehmen.

6. Freie Spitze

Während der Ausbildung wird von euch ein „Selbststudium“ im Umfang von mindestens 900 Stunden erwartet. Wie sich dieses Selbststudium zusammensetzt, hängt vom Institut ab. Ein Teil davon kann beispielsweise das Literaturstudium darstellen, ein anderer Teil die Vor- und Nachbereitung von Behandlungsfällen.

Während der Ausbildung bekommt ihr meistens ein Heft für die Dokumentation, um alle absolvierten Stunden einzutragen. So könnt ihr einen Überblick darüber behalten, was ihr schon geschafft habt und was noch vor euch liegt. Anfangs fragt man sich oft, wie man diese ganzen Voraussetzungen in der Regelzeit schaffen kann. Mir hat es sehr geholfen, mich mit anderen PIAs auszutauschen und die Supervisoren/-innen nach Tipps und Erfahrungen zu fragen.
Ich hoffe euch mit diesem Artikel einen guten Überblick über alle Ausbildungsbestandteile gegeben zu haben. Wenn ihr noch Fragen oder Anmerkungen habt, schreibt mir gerne!