Spätestens seit dem Digitale-Versorgung-Gesetz, welches die Verschreibung von Gesundheits-Apps ermöglichen soll, wird über den Nutzen von solchen Apps diskutiert. Neben Apps für die physische Gesundheit (z.B. Erinnerungen an Medikamenteneinnahme, Tagebuchfunktion für Diabetiker etc.) gibt es auch immer mehr Apps auf dem Markt, welche sich dem Thema psychische Gesundheit widmen. Noch ist nicht ganz klar, wie gut solche Apps helfen können, denn nur die wenigsten wurden bisher wissenschaftlich überprüft. Hier findet ihr eine Auflistung verschiedener Digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA), die bereits verschrieben werden können. Erste Studien zeigten, dass digitale Programme im Vergleich zu keiner Behandlung psychische Beschwerden verringern konnten.
Digitale Gesundheitsanwendungen haben verschiedene Vorteile. Sie können dabei helfen, Therapieinhalte in den Alltag zu übertragen oder mithilfe von Tagebuchfunktionen wichtige Beobachtungen im Alltag für die Therapie festzuhalten. Erinnerungsfunktionen ermöglichen zudem die regelmäßige Umsetzung von Aufgaben (z.B. Stimmungstagebuch). Ich habe auch schon mit Patienten/-innen gearbeitet, die vermeiden wollten, dass ihre Familienmitglieder Arbeitsblätter zu Hause finden und daher lieber ihr Handy für Aufgaben benutzt haben. Dafür benötigt man nicht immer eine App, man kann auch Sprachmemos oder Notizfunktionen nutzen. Arbeitsblätter in Papierform gehen zudem häufig verloren oder werden vergessen. Digitale Gesundheitsanwendungen können auch die Wartezeit auf einen Therapieplatz überbrücken oder Menschen erreichen, die nicht an die Versorgung angebunden sind (z.B. durch mangelnde Mobilität) oder aus anderen Gründen keine Therapie machen wollen. Zudem können solche Anwendungen auch in der Prävention oder Rezidivprophylaxe eingesetzt werden. Nachteile können sich ergeben, wenn Anwendungen nicht gut begleitet werden und es zu einer Verschlimmerung der Symptomatik kommt. Dann könnte es passieren, dass Anwender sich selbst dafür die Schuld geben oder nicht mehr daran glauben, dass Therapie wirksam sein kann. Einige Apps bieten eine Diagnostik an, auf Basis dessen eine Empfehlung ausgesprochen wird. Sollten hierbei Diagnosen wie eine Depression übersehen werden, könnte das schwerwiegende Folgen haben. Eine große Sorge besteht natürlich auch darin, dass persönliche Daten weitergegeben werden könnten.
Ich habe mal recherchiert und einige interessante Apps und Online-Programme gefunden, die ich euch nach Themen sortiert vorstellen möchte:
Abhängigkeit
ADHS
Angst
Depression
Metakognitive Therapie
Abhängigkeit:
I am Sober: Diese oder ähnliche Apps unterstützen Menschen im Kampf gegen Abhängigkeiten. In der App werden zum Beispiel die Stunden/Tage/Wochen angezeigt, in welchen man es schon geschafft hat trocken/clean zu bleiben. Die Visualisierung des gesparten Geldes soll dazu beitragen, die Vorteile der Abstinenz zu erkennen. Es gibt auch die Möglichkeit, sich bestimmte Ziele zu stecken (z.B. sieben Tage clean zu bleiben) und sich dafür Belohnungen zu überlegen. Unterstützt wird man dabei durch Motivationssprüche und durch die Einbindung in eine Community, in der man seine Erfolge teilen und sich gegenseitig motivieren kann. Um einen Überblick zu bekommen, an welchen Tagen die Abstinenz leichter fällt, fragt die App täglich ab, wie schwierig es war, abstinent zu bleiben und was man an dem Tag gemacht hat (verschiedenen Optionen zur Auswahl wie Arbeit, Freunde treffen, Hobbies). Eine Statistik gibt dann einen Überblick, wie man die Tage verbracht hat, an denen einem die Abstinenz leicht oder schwer gefallen ist. Solche Zusammenhänge zu erkennen ist sehr wichtig und trägt dazu bei, ein stärkeres Gefühl von Kontrolle zu bekommen. Auch in der Psychotherapie werden häufig Wochenprotokolle verwendet, um Zusammenhänge von psychischer Gesundheit (z.B. Stimmung) und anderen Faktoren (wie z.B. Aktivitäten oder Sozialkontakten) zu erkennen. Solche Apps können übrigens auch zum Thema Selbstverletzung eingesetzt werden.
Das Online-Programm Vorvida hat das Ziel erhöhten Alkoholkonsum zu verringern und wurde in einer wissenschaftlichen Studie untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass Teilnehmer des Programms im Vergleich zur Kontrollgruppe ihren Alkoholkonsum deutlich verringern konnten. Das Online-Programm umfasst die Module Veränderungsmotivation, Psychoedukation, Zielsetzung, Umgang mit Trinkverlangen, Bewältigung von Trigger-reizen, Umgang mit Risikosituationen und mögliche Rückfälle. Dabei kommen Techniken wie kognitive Umstrukturierung, achtsamkeitsbasierte Interventionen, Ablenkstrategien, imaginative Übungen und Problemlösetechniken zum Einsatz.
ADHS
ADHS-Kids: Diese App wurde vom Beltz-Verlag entwickelt und basiert auf dem Elternbuch »Wackelpeter & Trotzkopf« von Manfred Döpfner und Kollegen. Die App ist kostenlos und richtet sich an Eltern von Kindern mit ADHS. Es gibt die Menüpunkte Methoden, Umsetzung, Tagebuch und ADHS-Fakten. Zur Erklärung der Erziehungsmethoden (z.B. Loben, Konsequenzen setzen) stehen zu jedem Unterpunkt neben ausführlichen Erklärungen auch kleine Videos zur Verfügung. Damit es auch direkt an die Umsetzung geht, wird zunächst ein Problemverhalten ausgewählt (z.B. Geschwisterrivalität oder Hausaufgabensituation), eine Regel passend zum Problemverhalten formuliert (hier helfen einige Vorlagen), eine konkrete positive Konsequenz bei Einhaltung der Regel und eine negative Konsequenz bei Nichteinhaltung ausgesucht und eine Erinnerungsfunktion im Handy aktiviert. Auch zu positiven und negativen Konsequenzen gibt es einige Vorlagen und Infoboxen, da man hierbei ja bekanntlich auch viel falsch machen kann. Die Tagebuchfunktion ermöglicht eine ausführliche Dokumentation, die man sich in der Therapie mit den Eltern genauer anschauen kann. Insofern lässt sich die App gut mit einer Psychotherapie verbinden und die in Elterngesprächen besprochenen Inhalte lassen sich dadurch gut in den Alltag integrieren. Ich denke, dass die App nicht nur für Eltern mit ADHS hilfreich ist, da in der App Erziehungsmethoden vermittelt werden, von welchen alle Eltern profitieren können.
Angst
In der Behandlung von Angsterkrankungen wird zunehmend der Einsatz von Virtual-Reality-Brillen diskutiert. Diese können angstauslösende Situationen simulieren (z.B. Höhe) und damit hilfreich für die Umsetzung von Expositionstherapien sein. Denn nicht immer lassen sich Konfrontationsübungen gut in der Therapie umsetzen, sind teilweise sehr aufwendig (z.B. Fliegen) oder sind in der Realität schlecht kontrollierbar (z.B. soziale Situationen für die Behandlung von sozialen Phobien). Wichtig ist auch hier, dass diese virtuellen Übungen von Psychotherapeuten vorbereitet und begleitet werden. Anbieter, welche diese Form der Therapie anbieten sind Invirto und PsyCurio. Eine Metaanalyse von Carl et al. (2019) zeigte, dass Expositionstherapien mit Virtual-Reality-Brillen (virtual reality exposure therapy) ähnlich gute Effekte wie In-Vivo-Expositionen aufweisen konnten.
Depression
IFightDepression: Das Ifightdepression-Tool ist ein internetbasiertes, begleitetes Selbstmanagement-Programm, das Menschen mit leichten Depressionsformen helfen soll. Dieses Programm wurde im Rahmen des EU-geförderten Projektes “Preventing Depression and Improving Awareness through Networking in the EU” (PREDI-NU) entwickelt und wird seither von der European Alliance Against Depression weitergeführt und verwaltet. Es handelt sich hierbei nicht um eine App, sondern ein Onlineprogramm. Das Programm basiert auf den Prinzipien der kognitiven Verhaltenstherapie. Um an dem Programm teilzunehmen, benötigt man eine Empfehlung und Begleitung von einem Hausarzt/einer Hausärztin oder Psychotherapeuten/-in, welche/r vorher an einem Schulungsprogramm teilgenommen hat. Es gibt einige Ausnahmen, z.B. gibt es in der Corona-Krise kostenlose Zugänge, da es zu Versorgungsengpässen gekommen ist. Eine Schulung für das Onlineprogramm steht auch Menschen zur Verfügung, welche mit Geflüchteten und Asylsuchenden arbeiten, da es in diesem Bereich Versorgungsengpässe und Sprachbarrieren gibt. Das Tool ist übrigens in zwölf Sprachen verfügbar. Auch als PIA gibt es die Möglichkeit, an dem Schulungsprogramm teilzunehmen, hierfür benötigt man eine schriftliche Bestätigung des Supervisors/der Supervisorin. Auch dieses Tool ist nicht als Therapieersatz gedacht, sondern soll die Therapie unterstützend begleiten und bei der Implementierung von Therapieinhalten in den Alltag helfen. Zudem gibt es viele Informationen zum Thema Depression, die man zu Hause auch nach der Therapie nochmal in Ruhe nachlesen kann.
Die App Moodpath bietet eine ausführliche Diagnostik an, welche auf ICD-10 Kriterien basiert. Dafür werden über einen Zeitraum von 14 Tagen dreimal täglich Daten erhoben, um ein umfassendes Bild über depressive Symptome zu bekommen. Nach dieser Diagnostik erhält man einen Befund und eine Handlungsempfehlung (z.B. die Symptome von Psychotherapeuten/-innen abklären zu lassen). Das kann Menschen mit depressiven Symptomen dazu motivieren, sich für eine Therapie zu entscheiden. Außerdem kann die App zur Therapiebegleitung eingesetzt werden, z.B. für ausführliche Stimmungsprotokolle. Auch diese App beruht auf Prinzipien der kognitiven Verhaltenstherapie und wurde von Psychotherapeuten/-innen und Ärzten/-innen entwickelt.
Moodgym ist ein kostenloses Selbstmanagementprogramm zur Verringerung depressiver Symptome, welches vorbeugend oder behandlungsbegleitend genutzt werden kann. Das Programm besteht aus den Modulen Gefühle, Gedanken, Alternative Gedanken entwickeln, Weg mit dem Stress und Beziehungen. Wissenschaftler/-innen der Universität Leipzig konnten in einer Studie die Wirksamkeit von Moodgym für Menschen mit leichten und mittelschweren Depressionen nachweisen.
Das Online-Therapieprogramm Deprexis konnte bereits in 11 Studien seine Wirksamkeit nachweisen. Darunter gibt es auch eine Studie, die herausgefunden hat, dass die Kombination von ambulanter Psychotherapie und Deprexis wirksamer als eine alleinige ambulante Psychotherapie ist. Deprexis basiert auch auf Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie und umfasst 10 Themenbereiche. Einige Krankenkassen übernehmen die Kosten für das Programm.
Selfapy und HelloBetter (ehemals GET.ON) bieten zu verschiedenen Störungsbildern (u.a. Angst, Schlaf, Stress, Schmerzen, Panik) Online-Trainings an, welche durch geschulte Psychologen/-innen und Psychotherapeuten/-innen begleitet werden. Auch diese Trainings basieren auf den Prinzipien der kognitiven Verhaltenstherapie. Die Trainings werden von einigen Krankenkassen finanziert und können von Unternehmen für ihre Mitarbeiter/-innen zur Verfügung gestellt werden. HelloBetter ist an der Leuphana Universität Lüneburg und der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg entstanden und konnte in sehr vielen randomisiert-kontrollierten Studien die Wirksamkeit der Online-Programme belegen.
Metakognitive Therapie
Die Arbeitsgruppe Klinische Neuropsychologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf bietet sowohl Online, als auch als App Behandlungsmodule aus der Metakognitiven Therapie an. Es werden auf folgende Störungsbilder zugeschnittene Onlinetrainings angeboten: Psychosen, Depressionen, Depressionen im Alter, Bipolare Störungen, Borderline-Persönlichkeitsstörung, Zwangsstörungen. Der Behandlungsschwerpunkt liegt darin, Denkverzerrungen bewusst zu machen und zu verändern. Die MKT-App bietet die Module Kognitive Strategien (z.B. Abbau überzogener Maßstäbe), Aktivierende Übungen (z.B. Körperhaltung), Kommunikation & Interaktion (z.B. Umgang mit Kritik), Achtsamkeit & Imagination (z.B. Schöne-Momente-Tagebuch), Metakognitives Training und ein Zusatzmodul für Menschen mit Glücksspielproblemen an. Die App wurde in einer randomisiert-kontrollierten Studie untersucht und konnte bei den Teilnehmern zu einer Verringerung der Depressivität im Vergleich zur Wartekontrollgruppe führen.
Ich bin gespannt, wie sich dieser Bereich in der nächsten Zeit entwickelt. Schreibt mir gerne in die Kommentare, wenn ihr schon Erfahrungen mit Apps/Online-Programmen gemacht habt oder noch nicht genannte Programme empfehlen könnt.
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